TEST

Das Bundesarbeitsgericht leitet aus den Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes eine allgemeine Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeitaufzeichnung ab. Wir hatten bereits über die Presseerklärung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu seinem Urteil vom 13. September 2022 über die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung informiert. https://www.hwk-ff.de/bag-arbeitgeber-sind-zur-arbeitszeiterfassung-verpflichtet/

 

Nun hat das BAG die Urteilsgründe veröffentlicht. Hinsichtlich des Sachverhalts, der im Wesentlichen das Initiativrecht eines Betriebsrates auf Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zum Gegenstand hatte, wird auf die Darlegung in unserer ersten Veröffentlichung zum Urteil vom 13. September 2022 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

In den Urteilsgründen setzt sich das BAG ausführlich mit dem Verhältnis des Arbeitsschutzgesetzes zum Arbeitszeitgesetz auseinander. Im Ergebnis leitet das Gericht aus dem Arbeitsschutzgesetz eine alle Arbeitgeber treffende Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit ab – ungeachtet des spezielleren Arbeitszeitgesetzes, das insoweit keine generelle Aufzeichnungspflicht normiert. Zwischen Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz gäb es kein Verhältnis exklusiver Spezialität.

In den Urteilsgründen führt das BAG aus, dass im Ergebnis dem Betriebsrat kein Initiativrecht auf Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zustehe, da ohnehin alle Arbeitgeber schon kraft Gesetzes verpflichtet seien, ein System einzuführen, mit dem die gesamte Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden im Betrieb erfasst werden müssten. Zwar ergebe sich eine solche Verpflichtung nicht aus den einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Charta der Grundrechte (Art. 31 Abs. 2), aus denen keine unmittelbar geltende Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeitauszeichnungssystems abgeleitet werden könne. Auch ließe sich eine solche gesetzliche Verpflichtung nicht aus der Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz ableiten, da diese nicht dahingehend auszulegen sei, dass sämtliche Arbeitszeiten aufgezeichnet werden müssten. Dies ergebe sich im Umkehrschluss aus den sonst unnötigen spezielleren Regelungen zum Umfang der Arbeitszeitaufzeichnung im Arbeitszeitgesetz selbst (§ 21a Abs. 7 Satz 1) oder darauf basierenden Verordnungen (§ 8 Offs-hore-ArbZV und § 10 Abs. 1 BinSchArbZV) und in diversen Spezialgesetzen wie dem MiLoG, AEntG oder der GSA Fleisch. Jedoch ergebe sich eine Pflicht der Arbeitgeber, ein System einzuführen, um sämtliche Arbeitszeiten im Gemeinschaftsbetrieb zu erfassen, aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz – ungeachtet des allgemeinen Wortlauts dieser Regelung. Eine solches arbeitszeitliches Verständnis des Arbeitsschutzes liege der Zielsetzung und dem Bedeutungsgehalt der unionsrechtlichen Vorgaben (Richtlinie 89/391/EWG) zugrunde. Eine Konsequenz der Anwendbarkeit des Arbeitsschutzgesetzes sei, dass die im Arbeitszeitgesetz normierten Ausnahmen von der Arbeitszeiterfassung für bestimmte Arbeitnehmer (§§ 18 bis 21) nicht einschlägig seien.

Zu den Folgen des Urteils für die Betriebspraxis führt das Gericht aus, dass grundsätzlich für alle Arbeitgeber eine objektive gesetzliche Handlungspflicht bestehe, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden der Arbeitnehmer erfasst würde. Ausdrücklich weist das Gericht aber darauf hin, dass – solange der Gesetzgeber keine anderweitigen konkretisierenden Regelungen getroffen habe – ein erheblicher Umsetzungsspielraum fortbestünde. So könnten weiterhin die Besonderheiten der Tätigkeitbereiche, die Eigenheiten und insbesondere die Größe des Unternehmens berücksichtigt werden. Auch müsse die Arbeitszeiterfassung nicht zwingend elektronisch erfolgen, sondern die Papierform könne weiter genügen. Ebenso sei eine Delegation der Aufzeichnungspflicht auf die Arbeitnehmer weiterhin möglich.

 

Bewertung

Aus den letztgenannten Ausführungen des Gerichts lässt sich ableiten, dass bei der Ausgestaltung der Erfassung von Arbeitszeit auch auf der Grundlage dieses Beschlusses ein sehr weiter Gestaltungsspielraum bestehen bleibt. Das BAG bestätigt nicht nur die Möglichkeit der Delegation, es bestätigt darüber hinaus die Möglichkeit, Art und Weise der Aufzeichnung (z. B. Schriftform) zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend durch den Arbeitgeber zu bestimmen. Auch zum Zeitpunkt der Aufzeichnung enthält der Beschluss keine einschränkenden Vorgaben. Lediglich die Ausführungen des Gerichts zur Anwendbarkeit der im Arbeitszeitgesetz normierten Ausnahmen von Aufzeichnungspflicht für bestimmte Arbeitnehmer – wie insbesondere leitende Angestellte (Rz. 56 und 57) – lassen offen, ob diese Regelungen weiterhin Bestand haben. Für die Arbeitgeber im Handwerk ist von besonderer Bedeutung, dass bei der Auswahl der Form der Arbeitszeiterfassung vor allem die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seiner Größe – weiterhin berücksichtigt werden können. Es somit davon auszugehen, dass die in vielen Handwerksbetrieben oft noch anzutreffenden händischen oder auf die Arbeitnehmer delegierten Formen der Arbeitsaufzeichnung bis auf weiteres rechtmäßig sein dürften. Eine allgemeine Pflicht zu Einführung elektronischer Arbeitszeiterfassungssysteme besteht jedenfalls nicht. Es ist aber zu erwarten, dass das Bundesarbeitsministerium die Entscheidung zum Anlass nehmen wird, die gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung neu zu regeln.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Der gesetzliche Mindesturlaub verfällt nicht automatisch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist.

Weist ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht auf den möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen hin und fordert er den Arbeitnehmer nicht zu deren Inanspruchnahme auf, kann ein Urlaubsanspruch nicht verjähren. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 22. September 2022 (Az.: C-120/21).

 

I. Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Die Klägerin war von 1996 bis 2017 bei der Beklagten tätig. Über Jahre hinweg hatte sie ihren Urlaub von jährlich 24 Arbeitstagen nur zum Teil genommen. Im März 2012 bescheinigte ihr die Beklagte, dass der Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2011 und den Vorjahren Ende März 2012 nicht verfallen wird, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsanfalls nicht antreten konnte. In der Folge summierten sich die offenen Urlaubstage auf über 100 Tage, deren Abgeltung die Klägerin nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis im Jahr 2017 begehrte. Die Beklagte hatte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert, noch hatte sie die Klägerin darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub verfallen werde. Als sich die Beklagte auf die Abgeltung mit dem Hinweis auf einen Verfall und die Verjährung der Ansprüche berief, erhob die Arbeitnehmerin Klage.

Das Bundesarbeitsgericht wandte sich im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH (Vorlagebeschluss vom 29. September 2020, Az.: 9 AZR 266/20 (A)) mit der Vorlagefrage, ob die Regelverjährung von Urlaubsansprüchen gemäß §§ 194 Abs. 1 und 195 BGB nach drei Jahren mit dem Europarecht vereinbar sei, sofern Arbeitgeber die ihnen auch im Rahmen des Verfalls von Urlaubsansprüchen auferlegten Mitwirkungsobliegenheiten nicht beachten.

II. Entscheidungsgründe

Der EuGH kam im Rahmen der Vorabentscheidung zu der Feststellung, dass sich ein Arbeitgeber nicht auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs berufen kann, wenn er zuvor seiner urlaubsrechtlichen Hinweis- und Mitwirkungspflichten gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist.

Es obliege dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer konkret auf die drohende Verjährung des Urlaubsanspruchs hinzuweisen und zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufzufordern. Die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, könne nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden, der als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags gelte, während der Arbeitgeber damit eine Möglichkeit erhielte, sich seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub zu entziehen.

Entsprechend könne der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nur unter der Voraussetzung verloren gehen, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben. Ließe man aber zu, dass sich der Arbeitgeber auf die Verjährung der Ansprüche des Arbeitnehmers berufen könne, ohne ihm tatsächlich ermöglicht zu haben, diese Ansprüche wahrzunehmen, würde man im Ergebnis ein Verhalten billigen, das dem eigentlichen von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verfolgten Zweck, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderlaufe.

Zwar könne der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran haben, nicht mit Urlaubsanträgen oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden. Ein derartiges Interesse sei jedoch dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich dadurch, dass er davon abgesehen habe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen, selbst in eine Situation gebracht hat, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert wird. Daraus dürfe er zulasten des Arbeitnehmers keinen Nutzen ziehen.

III. Bewertung

Mit dem vorliegenden Urteil unterstreicht der EuGH erneut die besondere Bedeutung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung. In der Folge ist nicht nur der Verfall, sondern auch die Verjährung von Urlaubsansprüchen von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers zur Information des Arbeitnehmers darüber abhängig. Kommt der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten hinsichtlich der drohenden Verjährung von Urlaubsansprüchen des Arbeitnehmers nicht nach, verjähren angesammelte Ansprüche auf gesetzlichen Mindesturlaub nicht nach der 3-jährigen Verjährungsfrist.

Das EuGH-Urteil ist hier abrufbar. https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?docid=266105&doclang=DE

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Arbeitgeber sind zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten verpflichtet.

Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Beschluss vom 13. September 2022 (Az.: 1 ABR 22/21) und verwies dabei auf das sog. CCOO-Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019, Az.: C-55/18 [CCOO]). Das EuGH-Urteil gab den Mitgliedstaaten auf, für eine Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit Sorge zu tragen.

Ausgangspunkt der nun vorliegenden Entscheidung war ein Rechtstreit um Mitbestimmungsrechte eines Betriebsrats, der auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vom Arbeitgeber die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems verlangte.

Nach den Feststellungen der Bundesarbeitsrichter steht dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur dann ein Mitbestimmungsrecht zu, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG sei der Arbeitgeber allerdings bereits gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Die Regelung des § 3 ArbSchG lautet auszugsweise:

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. …

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereit zu stellen …

 

Bewertung / Folgen des Beschlusses

Die Entscheidung des BAG ist überraschend und nur schwer nachvollziehbar. Unabhängig von dieser neuen BAG-Entscheidung gibt es bereits jetzt umfassende Verpflichtungen zur Arbeitszeitaufzeichnung, sei es nach dem Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Arbeitszeitgesetz. Die daraus resultierenden Dokumentationspflichten bedeuten für die betroffenen Betriebe schon aktuell einen deutlichen Mehraufwand. Eine Ausweitung der Arbeitszeiterfassung auf sämtliche Beschäftigte aller Branchen wird die Bürokratielasten, gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen, erheblich erhöhen und könnte unter Umständen auch das Aus vieler flexibler Arbeitszeitabreden, wie etwa der Vertrauensarbeitszeit, bedeuten. Abschließend beurteilen lässt sich dies aber erst nach dem Vorliegen der ausformulierten Entscheidungsgründe. Zu betonen ist aber auch: Das BAG nimmt in seinem Beschluss Bezug auf § 3 ArbSchG. Maßnahmen des Arbeitgebers haben nach dieser Norm auch die Art der Tätigkeit und die Zahl der Beschäftigten zu berücksichtigen. Auch nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache CCOO (Urteil vom 14. Mai 2019 (Az.: C-55/18)) können bei der Arbeitszeitaufzeichnung Ausnahmen mit Blick auf die Betriebsgrößen normiert werden. Der ZDH wird sich dafür einsetzen, dass diese Aspekte bei der Umsetzung des Urteils Berücksichtigung finden.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Wird eine Corona-Prämie als Erschwerniszulage gezahlt, kann sie von der Pfändbarkeit freigestellt sein.

Gewährt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich angehört, seinen Beschäftigten freiwillig eine Corona-Prämie, ist diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Zweck der Prämie in der Kompensation einer tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt und die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 25. August 2022 (Az.: 8 AZR 14/22). Nach § 850a Nr. 3 ZPO unterliegen Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen, nicht der Pfändung.

I. Sachverhalt

Der Beklagte betreibt eine Gaststätte. Der bei ihm als Küchenhilfe und Thekenkraft eingesetzten Beschäftigten (im Folgenden Schuldnerin) zahlte der Beklagte im September 2020 neben dem Lohn eine Corona-Prämie in Höhe von 400,00 Euro. Über das Vermögen der Schuldnerin war im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt worden.

Für den Monat September 2020 errechnete die Klägerin aus dem Monatslohn sowie der Corona-Prämie der Schuldnerin als pfändungsrelevanten Nettoverdienst einen Betrag in Höhe von 1.440,47 Euro. Dieser Verdienst lag aus ihrer Sicht mit 182,99 Euro über der Pfändungsfreigrenze der Schuldnerin und müsse daher zur Schuldenbegleichung genutzt werden. Als der Beklagte die Auszahlung dieses Betrags verweigerte, erhob die Klägerin Klage mit Verweis auf die ihrer Ansicht nach bestehende Pfändbarkeit der Corona-Prämie. Sie führte dazu aus, dass anders als im Pflegebereich, wo der Gesetzgeber in § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI ausdrücklich die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie bestimmt habe, es für eine Sonderzahlung wie hier keine Regelung über eine Unpfändbarkeit gebe.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren vor dem BAG weiter.

II. Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin blieb vor dem BAG erfolglos. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, stehe der Klägerin kein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung des geforderten Betrags zu. Nach den Feststelllungen der Bundesarbeitsrichter gehöre die Corona-Prämie nach § 850a Nr. 3 ZPO nicht zum pfändbaren Einkommen der Schuldnerin. Die Beklagte habe mit der Prämie eine bei der Arbeitsleistung der Schuldnerin tatsächlich gegebene Erschwernis kompensieren wollen. Erschwerniszulagen seien nach dem Gesetz aber unpfändbar. Die vom Beklagten gezahlte Corona-Prämie überstieg in ihrer Höhe auch nicht den Rahmen des Üblichen im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO.

III. Folgen des Beschlusses / Bewertung

Nach der gesetzlichen Regelung war die Zahlung von Corona-Prämien bis zu einer Höhe von 1.500 Euro steuer- und abgabenfrei. Diese Regel galt bis März 2022. Eine ausdrückliche Pfändungssperre war dabei nur für Prämienzahlungen im Pflegebereich normiert (vgl. § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI). Eine vergleichbare Regelung für andere Bereiche fehlte. Das vorliegende Urteil ist daher zu begrüßen. Es bringt für die Arbeitgeber und die Beschäftigten die notwendige Rechtsklarheit. Für freiwillig gewährten Corona-Prämien außerhalb des Pflegebereichs kommt es nach den nun getroffenen Feststellungen des BAG bei der Frage der Pfändbarkeit der Zahlungen maßgeblich darauf an, ob diese mit Blick auf die erbrachte Arbeitsleistung als Erschwerniszulage im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO betrachtet werden können. Ist dies der Fall und bewegt sich die Prämienhöhe dabei im Rahmen des Üblichen, sind die Zahlungen von der Pfändung freigestellt.

Die BAG-Pressemitteilung ist hier abrufbar.

§ 850a ZPO

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des allgemeinverbindlichen Soka-Bau-TV (VTV) zuzuordnen sind, kommt es für die Ausnahme von der Soka-Bau-Beitragspflicht darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet oder verrichtet werden.

Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27.4.2022 – 10 AZR 263/19:

Die Parteien stritten über die Verpflichtung der Bekl., Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau) zu entrichten.

Gegenstand des Unternehmens der Bekl. war im Streitzeitraum der Handel mit Solar- und Photovoltaikanlagen jeder Art, die Projektierung und der Bau von Solar- und Photovoltaikanlagen (im Folgenden PV-Anlagen) einschließlich deren Reparatur und Wartung sowie die Beratung bei der Planung und Gründung von Solar- und Photovoltaik-Beteiligungsgesellschaften, ferner die Ausführung sämtlicher Arbeiten des Elektrotechnikerhandwerks. Die Bekl. verkaufte sogenannte Aufdach-PV-Anlagen inklusive Montage, wobei große Dächer – z.B. von Scheunen oder Hallen – genutzt wurden. Sie beschäftigte u.a. zwei Elektrotechnikermeister, von denen einer gleichzeitig ihr Geschäftsführer war. Diese beaufsichtigten und überwachten alle Arbeiten.

Für den Aufbau der PV-Anlagen waren zunächst die Unterkonstruktionen des PV-Generators zu montieren. Dazu wurde die Trägerkonstruktion für die einzelnen PV-Module auf dem jeweiligen Dach befestigt. Gleichzeitig wurde die Gleichstromverkabelung verlegt, da die Solarmodule diese später überdeckten. Anschließend wurde der PV-Generator montiert. Dafür wurden die einzelnen PV-Module auf der errichteten Unterkonstruktion befestigt und an die verlegten Leitungen angeschlossen, wobei eine komplexe Verkabelung der PV-Module untereinander erfolgte. Nach Befestigung der PV-Module musste der Solargenerator geerdet werden. Im letzten Schritt wurden alle Leitungen im System (Stränge und Erdung) auf ihre elektrischen Werte hin geprüft. Bei den Arbeitsschritten waren – soweit elektrische Komponenten betroffen waren – die Vorgaben der DIN VDE 0100 zu beachten. Der Hauptanteil der betrieblichen Gesamtarbeitszeit entfiel auf die Montage der Unterkonstruktion des PV-Generators mit ca. 22 % und die Montage des PV-Generators mit ca. 45 %. Auf die Gleichstromverkabelung entfielen etwa 9 %, auf die Wechselrichtermontage, Wechselstromverkabelung, Zählermontage, Netzanbindung/Anschlusstransformatorenstation und die Installation der Anlagenüberwachung etwa 13 % der Arbeitszeit.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden (20.4.2016 – 7 Ca 1014/15) hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das Landesarbeitsgericht Hessen (21.2.2019 – 9 Sa 1059/16) das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrte der Kl. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Nach der Entscheidung des BAG erbrachte die Bekl. zwar auch nach ihrer betrieblichen Einrichtung bauliche Leistungen. Die im Betrieb der Bekl. arbeitszeitlich überwiegend ausgeübten Tätigkeiten waren aber auch solche des Elektroinstallationsgewerbes. Betriebe des Elektroinstallationsgewerbes sind nach § 1 II Abschn. VII Nr. 12 Hs. 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) grundsätzlich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen. Ein Betrieb im Sinn der Ausnahmetatbestände setzt voraus, dass in ihm arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind. Dabei müssen nicht arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeübt werden, die das gesamte Spektrum dieses Gewerbes abbilden, um nach § 1 II Abschn. VII Nr. 12 Hs. 1 VTV aus dem betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen zu sein. Ausreichend ist grundsätzlich, dass einzelne diesem Gewerbe zuzuordnende Tätigkeiten arbeitszeitlich überwiegend verrichtet werden.

Nach der Entscheidung des BAG ist nicht nur das Anschließen der PV-Anlage an das Stromnetz Teil des Elektroinstallationsgewerbes. Vielmehr sind auch das Montieren und Installieren einer PV- Anlage auf Dächern eine typische Tätigkeit eines Elektronikers und damit zugleich eine typische Tätigkeit des Elektroinstallationsgewerbes, für die im Schwerpunkt Kenntnisse und Fähigkeiten aus dem Berufsbild des Elektronikers erforderlich sind.

Die Montage und Installation einer Solaranlage sind damit sowohl baugewerbliche Leistungen iSv § 1 II Abschn. II VTV als auch Tätigkeiten des Elektroinstallationsgewerbes iSv § 1 II Abschn. VII Nr. 12 VTV.

Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der  ausgenommenen Gewerke des § 1 II Abschn. VII der VTV zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet oder verrichtet werden. Werden sie von Fachleuten eines Baugewerbes oder von ungelernten Arbeitskräften angeleitet bzw. durchgeführt, ist regelmäßig eine Ausnahme vom Geltungsbereich der VTV abzulehnen.

Die Bekl. beschäftigte im Streitzeitraum zwei Elektrotechnikermeister, die alle Montage- und Installationstätigkeiten begleitet und beaufsichtigt haben. Eine durchgehende Kontrolle durch Fachleute des Elektroinstallationsgewerbes war damit gegeben. Unerheblich ist, ob die Bekl. darüber hinaus Elektroinstallateure bzw. Elektroniker beschäftigt hat, die die Arbeiten verrichtet haben.

Entgegen der Auffassung der Revision gehört im Streitfall aber auch die Montage der einzelnen PV-Module (45 % der Gesamtarbeitszeit) nicht zum Trocken- oder Montagebau. Ob die Befestigung von PV-Modulen auf den Unterkonstruktionen – je nach Organisation und Aufteilung der einzelnen Arbeitsschritte, die für den Bau einer PV-Anlage erforderlich sind – zum Berufsbild des Trockenbaumonteurs zählen kann, kann dahinstehen. Denn vorliegend beschränkte sich die Montage der PV-Module nicht auf die reine Befestigung der Module an dem Trägerwerk. Das steht der Einordnung als Trocken- oder Montagebautätigkeit entgegen. Die Montage geht nach den Feststellungen des LAG Hand in Hand mit dem Anschluss und der Anbindung an das – ebenfalls von der Bekl. – zuvor verlegte Gleichstromverkabelungssystem. Die Montage der PV-Module erforderte zudem eine komplexe Verkabelung der Module untereinander. Dabei waren Vorgaben der DIN VDE 0100 einzuhalten, wofür es elektrotechnische Kenntnisse bedurfte. Die Organisation der Arbeitsschritte derart, dass die Montage der PV-Module gleichzeitig mit dem Anschluss an die Kabel erfolgte, steht der Ansicht des Kl. entgegen, die Montagearbeiten könnten isoliert von den Elektroarbeiten betrachtet und deshalb als Montagebauarbeiten im Tarifsinn gewertet werden. Zu beachten ist, dass bauliche Leistungen regelmäßig durch eine Vielzahl verschiedener Arbeitsschritte geprägt sind. Sie hängen von den jeweiligen Gegebenheiten ab und sind durch das vom Auftraggeber definierte Projekt und die Reichweite des ausgeführten Tätigkeitsspektrums des Auftragnehmers geprägt. Deshalb scheidet die künstliche Aufspaltung zusammen ausgeführter Tätigkeiten aus, um zu bewerten, ob und welche baulichen Tätigkeiten im Sinne der VTV gegeben sind. Die einzelnen Teilschritte baulicher Tätigkeit können oft nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Das würde dazu führen, dass Tätigkeiten und Berufsbilder, die dem VTV zugrunde liegen, „atomisiert“ würden. Mit dem Sinn und Zweck des VTV wäre ein solches Vorgehen nicht in Einklang zu bringen.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 27.4.2022 – 10 AZR 263/19 – Volltext:

https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2022/07/10-AZR-263-19.pdf

Ein Arbeitgeber muss Mitarbeitenden, die im Urlaub an Corona erkranken, die Urlaubstage nicht ohne Weiteres nachgewähren. Erforderlich ist auch hier die Vorlage eines ärztlichen Attests. Eine Quarantäneanordnung allein reicht nicht aus, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln mit Urteil vom 13.12.2021 (Az: 2 Sa 488/21).

Wer während seines Urlaubs krank wird, kann diese Urlaubstage in der Regel nachholen. Da der Urlaub der Erholung dienen soll, werden Tage der Arbeitsunfähigkeit gemäß § 9 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Dieses Recht gilt nur bei einer Arbeitsunfähigkeit, die Mitarbeitende in Form eines ärztlichen Attestes nachweisen müssen. Eine behördliche Quarantäneanordnung, die wegen einer Coronainfektion erfolgt, ersetzt kein ärztliches Attest. Das hat das LAG Köln vorliegend klargestellt und das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.07.2021 (Az 2 Ca 504/21) bestätigt.

In dem Fall gewährte der Arbeitgeber seiner Mitarbeiterin Urlaub vom 30. November 2020 bis zum 12. Dezember 2020. Dann infizierte sich die Arbeitnehmerin mit dem Coronavirus und musste sich auf behördliche Anordnung hin vom 27. November bis zum 7. Dezember 2020 in Quarantäne begeben. Von ihrem Arbeitgeber verlangte die Mitarbeiterin die Nachgewährung von fünf Urlaubstagen. Dieser weigerte sich, da eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Zeitraum nicht vorlag.

Die Klage auf Nachgewährung der fünf Urlaubstage hatte vor dem Arbeitsgericht Bonn keinen Erfolg. Das LAG Köln wies nun auch die Berufung der Arbeitnehmerin gegen das Urteil zurück. Das Gericht entschied, dass die Voraussetzungen von § 9 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) für die Nachgewährung von Urlaubstagen bei einer Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt waren. Nach dieser Regelung werden bei einer Erkrankung während des Urlaubs die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitstage auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

In der Begründung führte das Gericht aus, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsunfähigkeit vorliegend nicht durch ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen habe. Es wies darauf hin, dass eine behördliche Quarantäneanordnung einem ärztlichen Zeugnis über die Arbeitsunfähigkeit nicht gleichsteht. Schon das Arbeitsgericht Bonn hatte festgestellt, dass es allein Sache des behandelnden Arztes ist, die Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern zu beurteilen.

Nach Auffassung des LAG Köln kommt in Fällen einer behördlichen Quarantäneanordnung wegen einer Covid-19-Infektion während der Urlaubszeit auch eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nicht infrage. Das Gericht stellte fest, dass dafür sowohl eine planwidrige Regelungslücke fehle, als auch ein mit einer Arbeitsunfähigkeit vergleichbarer Sachverhalt. Denn: Eine Erkrankung – hier die Infektion mit dem Coronavirus – führe nicht zwingend und unmittelbar zu einer Arbeitsunfähigkeit, so die Begründung. Ein symptomloser Virusträger bleibe grundsätzlich arbeitsfähig, wenn es ihm nicht wegen der Quarantäneanordnung verboten wäre zu arbeiten.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht rechtskräftig. Das Gericht hat in seinem Urteil die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Hat der Arbeitgeber das erhöhte Arbeitsvolumen selbst zu verantworten, ist dies kein Grund für eine behördlich zu genehmigende Sonntagsarbeit.

Sonntagsarbeit zur Abwendung eines unverhältnismäßigen Schadens darf gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 b des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) nur wegen einer vorübergehenden Sondersituation bewilligt werden, die eine außerbetriebliche Ursache hat. Die Ursache darf nicht durch den Arbeitgeber selbst geschaffen worden sein. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 27. Januar 2021 (Az.: 8 C 3.20).

Nach Ansicht des Gerichts setzt eine Bewilligung von Sonn- und Feiertagsarbeit voraus, dass zwischen den besonderen Verhältnissen und dem drohenden unverhältnismäßigen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehe und die beantragte Arbeit erforderlich sei, um den drohenden Schaden abzuwenden. Vorliegend sah es das Gericht als erwiesen an, dass der drohende Schaden nicht durch besondere Verhältnisse nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 b ArbZG verursacht worden sei. Diese besonderen Verhältnisse müssten nämlich durch Umstände verursacht sein, die von außen auf das betreffende Unternehmen einwirkten. Sie dürften also nicht vom Arbeitgeber selbst geschaffen worden sein.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Am 18. März informierten wir in dem Beitrag Geringerer Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit „Null“ über die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (LAG) vom 12. März 2021 (Az.: 6 Sa 824/20) zur Kürzungsmöglichkeit von Urlaubsansprüchen bei Kurzarbeit. In der nun vorliegenden Urteilsbegründung hob das LAG hervor, dass für Zeiträume, in denen Arbeitnehmer aufgrund konjunktureller Kurzarbeit „Null“ keine Arbeitspflicht haben, der jährliche Urlaubsanspruch anteilig zu kürzen ist.

Das LAG folgte dem Urteil der ersten Instanz und wies die Klage ebenfalls ab. Nach den Feststellungen des Gerichts hat die Klägerin wegen der in den drei Monaten vorherrschenden Kurzarbeit „Null“ für diesen Zeitraum keine Urlaubsansprüche erworben. Ein Urlaubsanspruch stehe ihr für das Jahr 2020 daher nur in einem gekürzten Umfang zu.

Zwar setze der Urlaubsanspruch gemäß der Vorschriften der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass nach § 3 Abs. 1 BUrlG die Zahl der Urlaubstage ausgehend vom Erholungszweck des gesetzlichen Mindesturlaubs in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht zu bestimmen sei. Bei der Ermittlung des Urlaubsanspruchs sei auf die für das gesamte Urlaubsjahr arbeitsvertraglich vorgesehene Verteilung der Arbeitszeit abzustellen. Komme es zu einem unterjährigen Wechsel, sei der Anspruch für das betreffende Kalenderjahr entsprechend der Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen. Diese Berechnungsweise gelte in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch für Zeiten von Kurzarbeit „Null“. Im Übrigen habe auch der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf der Prämisse beruhe, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums auch tatsächlich gearbeitet habe. Demnach könne ein Urlaubsanspruch nur für Zeiträume erworben werden, in denen eine Arbeitsleistung erbracht wurde.

Das LAG hebt zudem hervor, dass es mehrere Fallgestaltungen gebe, in denen eine Suspendierung der Arbeitspflicht zu einer Verminderung des Urlaubsanspruchs führe, so etwa bei unbezahltem Sonderurlaub oder auch während der Freistellungsphase einer Altersteilzeit im Blockmodell. Im vorliegenden Verfahren schließe sich das Gericht den Ausführungen des LAG Hamm vom 30. August 2017 (Az.: 5 Sa 626/17) an, wonach während Kurzarbeit „Null“ im gesamten Kalenderjahr kein Urlaubsanspruch entstehe. Im Einklang mit der herrschenden Literaturmeinung sei daher in der Folge davon auszugehen, dass konjunkturelle Kurzarbeit „Null“ wie andere Teilzeittatbestände zu einer Kürzung des Urlaubsanspruchs führen. Mit der Kurzarbeit gehe eine Verkürzung der normalen Arbeitszeit einher, weil der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung zu erbringen habe.

Zugleich weist das LAG darauf hin, dass es keine gesetzlichen Normen gebe, die der Kürzung eines Urlaubsanspruchs aufgrund von Kurzarbeit entgegenstehen. Weder die Regelungen des BUrlG noch die Regelungen des SGB III stünden dem entgegen. Insbesondere führt das Gericht hinsichtlich § 96 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 SGB III aus, dass diese Norm nur dann eingreife, soweit arbeitsrechtlich Urlaub erteilt werden könne und sich aus ihr daher nicht ableiten lasse, in welcher Höhe ein Urlaubsanspruch entstehe. Zwar stelle Kurzarbeit keine planbare Freizeit dar. Für die Frage der Entstehung des Urlaubsanspruchs sei aber allein auf die Arbeitspflicht abzustellen, nicht hingegen auf die Erholungsmöglichkeit.

Bewertung

Ob Urlaubsansprüche während Kurzarbeitszeiten entstehen, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das vorliegende Urteil deckt sich mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum sowie der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. November 2012, Az.: C-229/11). Urlaubsansprüche können demnach nur dann entstehen, wenn auch tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wurde.

Das LAG hat in der vorliegenden Rechtssache die Revision zugelassen. Das BAG ist daher berufen, diese Frage abschließend zu entscheiden.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Bekommt eine Frau trotz vergleichbarer Arbeit ein geringeres Entgelt als vergleichbare männliche Kollegen, rechtfertigt dies die Vermutung der Diskriminierung.

Erzielt eine Frau ein geringeres Entgelt als das ihr vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichspersonen, begründet dies die durch den Arbeitgeber nach § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) widerlegbare Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 21. Januar 2021 (Az.: 8 AZR 488/19).

Nach der Regelung des § 7 EntgTranspG darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten kein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Gemäß § 10 EntgTranspG steht Arbeitnehmern ein individueller Auskunftsanspruch bezüglich des Vergleichsentgelts (Median-Entgelt) vergleichbarer Arbeitnehmer des anderen Geschlechts zu, das nach den Regeln der §§ 10 ff. EntgTranspG durch den Arbeitgeber zu ermitteln ist. Der Auskunftsanspruch gilt nur in Betrieben mit regelmäßig mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber (vgl. § 12 Abs. 1 EntgTranspG). Zudem muss die Vergleichstätigkeit von mindestens sechs Personen des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt werden.

 

Bewertung / Folgen der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung stellt klar, dass bereits die nach §§ 10 ff. EntgTranspG nachgewiesene Differenz zum Vergleichsentgelt einer vergleichbaren Tätigkeit als Indiz für die Vermutung nach § 22 AGG ausreicht, um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts zu begründen. Der Arbeitgeber hat jedoch die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen. Ihm obliegt insoweit die Darlegungs- und Beweislast.

Aussagen zu der Frage, welche Anforderungen an den Gegenbeweis in diesem Kontext an den Arbeitgeber zu stellen sind, trifft das BAG nicht. Klar muss dabei sein, dass es dem Arbeitgeber nicht durch überbordende Anforderungen faktisch unmöglich gemacht werden darf, die Vermutung nach § 22 AGG zu widerlegen. Dazu gehört die Darlegung, dass die Gehaltsunterschiede rational begründet sind, beispielsweise durch unterschiedlich lange Betriebszugehörigkeiten oder die Einstellung von Quereinsteigern. Insofern bleiben die schriftlichen Entscheidungsgründe des Urteils abzuwarten.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de

Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung der Akteure als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 1. Dezember 2020 (Az.: 9 AZR 102/20).

Nach den Feststellungen des BAG stand der klagende „Crowdworker“ im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis mit dem beklagten „Crowdsourcer“. Zur Begründung dieser Feststellung führten die BAG-Richter aus, dass die Arbeitnehmereigenschaft nach § 611a BGB davon abhängt, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leiste. Lasse die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses erkennen, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, spiele die Bezeichnung im Vertrag keine Rolle. Das Gesetz verlange vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände. Diese führten hier dazu, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen seien. Es spreche für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuere, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten könne. Vorliegend habe der Kläger in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht. Dabei sei er vertraglich zwar nicht verpflichtet gewesen, die Angebote der Beklagten anzunehmen. Allerdings habe die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform darauf abgezielt, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem habe es den Nutzern der Online-Plattform ermöglicht, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Soweit der Kläger Vergütungsansprüche geltend mache, sei der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Nach Ansicht des BAG kann der Kläger nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Wenn sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis darstelle, könne in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet gewesen. Geschuldet sei vielmehr die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht festzustellen habe.

Mit dem BAG-Urteil werden die Arbeiten der Crowdworker aufgewertet. Ob ihnen damit auch die weitreichenden Rechte aus dem Arbeitsverhältnis, wie beispielsweise Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zustehen, bleibt abzuwarten. Dies hängt mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin sehr von dem jeweiligen Geschäftsmodell der Plattformen ab und der Frage, inwiefern die Crowdworker weisungsgebunden sind und freie Entscheidungen treffen können.

Anja Schliebe

Rechtsberaterin

Telefon: 0335 5619 - 136
Telefax: 0335 5619 - 123

anja.schliebe@hwk-ff.de