Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des allgemeinverbindlichen Soka-Bau-TV (VTV) zuzuordnen sind, kommt es für die Ausnahme von der Soka-Bau-Beitragspflicht darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet oder verrichtet werden.
Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27.4.2022 – 10 AZR 263/19:
Die Parteien stritten über die Verpflichtung der Bekl., Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau) zu entrichten.
Gegenstand des Unternehmens der Bekl. war im Streitzeitraum der Handel mit Solar- und Photovoltaikanlagen jeder Art, die Projektierung und der Bau von Solar- und Photovoltaikanlagen (im Folgenden PV-Anlagen) einschließlich deren Reparatur und Wartung sowie die Beratung bei der Planung und Gründung von Solar- und Photovoltaik-Beteiligungsgesellschaften, ferner die Ausführung sämtlicher Arbeiten des Elektrotechnikerhandwerks. Die Bekl. verkaufte sogenannte Aufdach-PV-Anlagen inklusive Montage, wobei große Dächer – z.B. von Scheunen oder Hallen – genutzt wurden. Sie beschäftigte u.a. zwei Elektrotechnikermeister, von denen einer gleichzeitig ihr Geschäftsführer war. Diese beaufsichtigten und überwachten alle Arbeiten.
Für den Aufbau der PV-Anlagen waren zunächst die Unterkonstruktionen des PV-Generators zu montieren. Dazu wurde die Trägerkonstruktion für die einzelnen PV-Module auf dem jeweiligen Dach befestigt. Gleichzeitig wurde die Gleichstromverkabelung verlegt, da die Solarmodule diese später überdeckten. Anschließend wurde der PV-Generator montiert. Dafür wurden die einzelnen PV-Module auf der errichteten Unterkonstruktion befestigt und an die verlegten Leitungen angeschlossen, wobei eine komplexe Verkabelung der PV-Module untereinander erfolgte. Nach Befestigung der PV-Module musste der Solargenerator geerdet werden. Im letzten Schritt wurden alle Leitungen im System (Stränge und Erdung) auf ihre elektrischen Werte hin geprüft. Bei den Arbeitsschritten waren – soweit elektrische Komponenten betroffen waren – die Vorgaben der DIN VDE 0100 zu beachten. Der Hauptanteil der betrieblichen Gesamtarbeitszeit entfiel auf die Montage der Unterkonstruktion des PV-Generators mit ca. 22 % und die Montage des PV-Generators mit ca. 45 %. Auf die Gleichstromverkabelung entfielen etwa 9 %, auf die Wechselrichtermontage, Wechselstromverkabelung, Zählermontage, Netzanbindung/Anschlusstransformatorenstation und die Installation der Anlagenüberwachung etwa 13 % der Arbeitszeit.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden (20.4.2016 – 7 Ca 1014/15) hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das Landesarbeitsgericht Hessen (21.2.2019 – 9 Sa 1059/16) das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrte der Kl. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Nach der Entscheidung des BAG erbrachte die Bekl. zwar auch nach ihrer betrieblichen Einrichtung bauliche Leistungen. Die im Betrieb der Bekl. arbeitszeitlich überwiegend ausgeübten Tätigkeiten waren aber auch solche des Elektroinstallationsgewerbes. Betriebe des Elektroinstallationsgewerbes sind nach § 1 II Abschn. VII Nr. 12 Hs. 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) grundsätzlich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen. Ein Betrieb im Sinn der Ausnahmetatbestände setzt voraus, dass in ihm arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind. Dabei müssen nicht arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeübt werden, die das gesamte Spektrum dieses Gewerbes abbilden, um nach § 1 II Abschn. VII Nr. 12 Hs. 1 VTV aus dem betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen zu sein. Ausreichend ist grundsätzlich, dass einzelne diesem Gewerbe zuzuordnende Tätigkeiten arbeitszeitlich überwiegend verrichtet werden.
Nach der Entscheidung des BAG ist nicht nur das Anschließen der PV-Anlage an das Stromnetz Teil des Elektroinstallationsgewerbes. Vielmehr sind auch das Montieren und Installieren einer PV- Anlage auf Dächern eine typische Tätigkeit eines Elektronikers und damit zugleich eine typische Tätigkeit des Elektroinstallationsgewerbes, für die im Schwerpunkt Kenntnisse und Fähigkeiten aus dem Berufsbild des Elektronikers erforderlich sind.
Die Montage und Installation einer Solaranlage sind damit sowohl baugewerbliche Leistungen iSv § 1 II Abschn. II VTV als auch Tätigkeiten des Elektroinstallationsgewerbes iSv § 1 II Abschn. VII Nr. 12 VTV.
Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des § 1 II Abschn. VII der VTV zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet oder verrichtet werden. Werden sie von Fachleuten eines Baugewerbes oder von ungelernten Arbeitskräften angeleitet bzw. durchgeführt, ist regelmäßig eine Ausnahme vom Geltungsbereich der VTV abzulehnen.
Die Bekl. beschäftigte im Streitzeitraum zwei Elektrotechnikermeister, die alle Montage- und Installationstätigkeiten begleitet und beaufsichtigt haben. Eine durchgehende Kontrolle durch Fachleute des Elektroinstallationsgewerbes war damit gegeben. Unerheblich ist, ob die Bekl. darüber hinaus Elektroinstallateure bzw. Elektroniker beschäftigt hat, die die Arbeiten verrichtet haben.
Entgegen der Auffassung der Revision gehört im Streitfall aber auch die Montage der einzelnen PV-Module (45 % der Gesamtarbeitszeit) nicht zum Trocken- oder Montagebau. Ob die Befestigung von PV-Modulen auf den Unterkonstruktionen – je nach Organisation und Aufteilung der einzelnen Arbeitsschritte, die für den Bau einer PV-Anlage erforderlich sind – zum Berufsbild des Trockenbaumonteurs zählen kann, kann dahinstehen. Denn vorliegend beschränkte sich die Montage der PV-Module nicht auf die reine Befestigung der Module an dem Trägerwerk. Das steht der Einordnung als Trocken- oder Montagebautätigkeit entgegen. Die Montage geht nach den Feststellungen des LAG Hand in Hand mit dem Anschluss und der Anbindung an das – ebenfalls von der Bekl. – zuvor verlegte Gleichstromverkabelungssystem. Die Montage der PV-Module erforderte zudem eine komplexe Verkabelung der Module untereinander. Dabei waren Vorgaben der DIN VDE 0100 einzuhalten, wofür es elektrotechnische Kenntnisse bedurfte. Die Organisation der Arbeitsschritte derart, dass die Montage der PV-Module gleichzeitig mit dem Anschluss an die Kabel erfolgte, steht der Ansicht des Kl. entgegen, die Montagearbeiten könnten isoliert von den Elektroarbeiten betrachtet und deshalb als Montagebauarbeiten im Tarifsinn gewertet werden. Zu beachten ist, dass bauliche Leistungen regelmäßig durch eine Vielzahl verschiedener Arbeitsschritte geprägt sind. Sie hängen von den jeweiligen Gegebenheiten ab und sind durch das vom Auftraggeber definierte Projekt und die Reichweite des ausgeführten Tätigkeitsspektrums des Auftragnehmers geprägt. Deshalb scheidet die künstliche Aufspaltung zusammen ausgeführter Tätigkeiten aus, um zu bewerten, ob und welche baulichen Tätigkeiten im Sinne der VTV gegeben sind. Die einzelnen Teilschritte baulicher Tätigkeit können oft nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Das würde dazu führen, dass Tätigkeiten und Berufsbilder, die dem VTV zugrunde liegen, „atomisiert“ würden. Mit dem Sinn und Zweck des VTV wäre ein solches Vorgehen nicht in Einklang zu bringen.