Bürgergeld und Lohnabstand

Viele Handwerker treibt das Thema Bürgergeld um. Ihre Sorge: Das Bürgergeld verleitet zu viele Arbeitsfähige, sich in die „soziale Hängematte“ zu legen. Die Wahrheit ist komplizierter. Ein Interview mit dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Frank Ecker (li.) und dem Leiter des Jobcenters Frankfurt (Oder), Frank Mahlkow (re.).

DHB: Ist die Sorge vieler Handwerker, mit dem Bürgergeld würde sich Arbeit nicht mehr lohnen, gerechtfertigt?

Frank Ecker: Zumindest hören wir vereinzelt, dass sich Beschäftigte melden und um Kündigung bitten, weil sich trotz Mindestlohn oder Bezahlung über dem Mindestlohn, das Arbeiten nicht mehr lohne.

DHB: Aber stimmt das denn so?

Frank Ecker: Bereits wer geringverdienend arbeitet und alle verfügbaren Sozialleistungen in Anspruch nimmt, hat in jedem Fall mehr Geld zur Verfügung als jemand, der ausschließlich Sozialleistungen bezieht.

DHB: Aber vielleicht ist dieses „mehr“ zu wenig?

Frank Mahlkow: Das ist der Punkt. Viele die im Mindestlohnbereich arbeiten, haben wirklich nur dann mehr im Portemonaie, wenn sie ergänzende Sozialleistungen beantragen.

DHB: Was heißt das konkret?

Frank Mahlkow: Konkret heißt das, dass eine vierköpfige Familie mit Bürgergeldbezug, die in Frankfurt (Oder) zur Miete wohnt, vom Jobcenter 2400 bis 3000 Euro überwiesen bekommt. Darin enthalten sind auch Regelbedarfe und Leistungen der Bildung und Teilhabe sowie Miet- und Heizkosten. Selbst wenn beide Partner im Mindestlohnbereich anfangen würden zu arbeiten, wäre das Plus durch die zusätzlichen Sozialleistungen marginal zum Bürgergeldbezug. Erst durch Kindergeldzuschläge und Beantragung von Wohngeld Plus ergäbe sich ein leichtes Plus.

Frank Ecker: Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Mehrheit der Handwerksbetriebe längst mehr als den Mindestlohn zahlen.

Bürgergeld verringert auch für Flüchtlinge den Druck zur Arbeitsaufnahme

DHB: Dennoch zeigen die Zahlen klar, dass seit der Abschaffung von Hartz IV und der Einführung des Bürgergelds, die Integration in den Arbeitsmarkt nicht zu-, sondern abgenommen hat.

Frank Ecker: Einer der Gründe dafür könnte sein, dass viele Firmen, zwar Mitarbeiter suchen. Sie stellen aber wegen der unsicheren gesamtwirtschaftlichen Lage nur verhalten ein und konzentrieren sich darauf, ihr Personal zu halten.

Frank Mahlkow: Das ist ein Grund. Ein zweiter Grund ist aber auch, dass für Bezieher von Bürgergeld angesichts gestiegener Preise und Inflation die Motivation gesunken ist, sich um Arbeit zu bemühen. Die Kritik des Handwerks, der Lohnabstand zum Bürgergeld wäre zu gering, ist aus meiner Sicht berechtigt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ein Viertel aller Bürgergeldbezieher allein in der Stadt Frankfurt, liegen nicht in der „sozialen Hängematte“, sondern arbeiten Vollzeit. Vor diesen Menschen habe ich die allergrößte Hochachtung.

DHB: Angesichts fehlender Arbeitskräfte schauen viele Handwerker mit Unverständnis auf die hohe Zahl arbeitsloser aber erwerbsfähiger, insbesondere ukrainischer Flüchtlinge.

Frank Ecker: In Ländern wie Polen oder den Niederlanden die Beschäftigungsquote wesentlich höher. Da liegt also zumindest die Vermutung nahe, dass das mit den sozialen Unterstützungsleistungen in unserem Land zu tun hat.

Frank Mahlkow: Ganz sicher hat die Höhe des Bürgergeldes dazu geführt, dass es für die erwerbsfähigen und zumeist gut ausgebildeten Kriegsflüchtlinge keinen Druck gab, ohne Sprachkenntnisse eine Arbeit aufzunehmen. Viele wollten erst etwas Deutsch lernen. Sie befürchteten, in schlecht bezahlten Helferjobs ihr wirkliches Wissen und Können nicht abrufen zu können. Dafür habe ich Verständnis.

Nur wenige Ukrainer stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung

DHB: Wie viele Ukrainer arbeiten denn im ostbrandenburgischen Handwerk?

Frank Ecker: Leider erhalten wir dazu keine Rückmeldungen von unseren etwas über 11.400 Mitgliedbetrieben. Es sind jedenfalls nicht viele. Schon die Gesamtzahlen legen nahe, dass die tatsächliche Zahl der erwerbsfähigen ukrainischen Flüchtlinge in Ostbrandenburg gefühlt höher ist, als in der Realität.

DHB: Wie sehen die Zahlen aus?

Frank Mahlkow: Von den 1,7 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern in Deutschland kommen 168.961 aus der Ukraine. Davon befanden sich 2023, im Oktober, 132 000 in Integrationskursen. Dem Arbeitsmarkt standen zu diesem Zeitpunkt also nur noch 36.961 Ukrainerinnen und Ukrainer zur Verfügung – in ganz Deutschland.

DHB: In Brandenburg leben zurzeit etwas über 35.000 ukrainische Flüchtlinge. Wie viele von ihnen arbeiten denn?

Frank Ecker: Soweit mir bekannt ist, befinden sich davon 22,8 Prozent in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis – und das ein Jahr nach ihrer Ankunft. Bei den Flüchtlingen im Jahr 2015 waren nach einem Jahr im Bundesdurchschnitt gerade einmal sieben Prozent in Lohn und Brot. Es scheint also, als gäbe es unter den Ukrainern eine hohe Motivation, arbeiten zu gehen.

„Wir werden bald mehr Ukrainer in Handwerksbetrieben sehen“

DHB: Erwarten Sie eine Zunahme der Erwerbsquoten ukrainischer Flüchtlinge?

Frank Mahlkow: Viele haben jetzt ihre Sprachkurse abgeschlossen. Wir versuchen, ihnen jetzt klarzumachen, dass es nun wichtig ist, auch eine Arbeit anzunehmen, die unter ihrem Ausbildungsniveau liegt. Dass sie nur über die Arbeitspraxis die deutsche Sprache beherrschen und ihren weiteren beruflichen Aufstieg bei uns realisieren können.

Frank Ecker: Ich bin optimistisch, dass wir schon bald mehr Ukrainer in unseren Betrieben sehen werden. Heute befinden sich 60 Prozent der Flüchtlinge, die 2015 ins Land kamen, in einem versicherungspflichtigen Job. Ob wir eine solche Quote bei den ukrainischen Flüchtlingen erreichen, wird vom Verlauf des Krieges abhängen. Aber auch davon, wie wir als Handwerker auf sie zugehen, wie leicht wir es ihnen machen, in unseren Betrieben eine Anstellung zu finden, wie fair wir sie bezahlen und ob es Angebote gibt, berufsbegleitend die deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern.

DHB: Gibt es denn da genügend Angebote?

Frank Ecker: Es gibt Möglichkeiten. Tatsächlich sind Lehrer bereit auch in Betrieben stundenweise fachspezifisches Deutsch zu unterrichten. Wenn sich also z. B. mehrere Metallbaubetriebe aus einer Region zusammentun, um ihren ukrainischen Mitarbeitern zu ermöglichen, ihr fachspezifisches Deutsch zu verbessern, kann die Handwerkskammer helfen, Honorarlehrer dafür zu finden.

Frank Mahlkow: Seit Mitte Februar gibt es ein Angebot des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die es Sprachkursträgern ermöglicht, berufsbegleitende Sprachkurse auch für sehr kleine Gruppen anzubieten.

DHB: Was heißt „sehr kleine Gruppen“?

Frank Mahlkow: Wie Frank Ecker es eben ausführte. Wenn drei Dachdeckerfirmen drei Mitarbeiter aus der Ukraine haben und sich zusammentun, können wir einen fachspezifischen Sprachkurs finanzieren.

Behörden müssen den bürokratischen Hürdenlauf beenden

DHB: Herr Ecker hilft das dem Handwerk?

Frank Ecker: Das ist ein ausgezeichnetes Angebot, das über die Innungen sicher schnell aufgenommen und umgesetzt werden könnte. Es geht, bei der Erhöhung der Beschäftigungsrate von Flüchtlingen jedoch nicht allein um Sprachkurse.

DHB: Was ist noch erforderlich?

Frank Ecker: Mehr Flexibilität bei den Behörden. Es würde vieles erleichtern, wenn die Behörden aufhören würden, diese Menschen mit ihnen unverständlichen Formularen von einem Amt zum anderen zu schicken. Es bedarf übergreifender Service-Stellen. Es könnte vieles schneller laufen, wenn solch eine Stelle, sozusagen unter Kollegen, klärt, ob eine junge ukrainische Frau mit 25 Jahren noch kindergeldberechtigt ist oder ob sie Berufsausbildungsbeihilfe beziehen darf. Das würde für unsere Handwerksbetriebe, Willkommenslotsen und passgenauen Besetzer vieles vereinfachen und wir hätten bereits jetzt eine höhere Beschäftigungsquote ausländischer Arbeitskräfte.

DHB: Sollte dennoch der Druck zur Arbeitsaufnahme erhöht werden?

Frank Ecker: Ich finde ja. Vergessen wir aber nicht, 74 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge sind Frauen mit Kindern. Wie schnell wir die Erwerbsquote von ukrainischen Flüchtlingen erhöhen, wird in hohem Maße davon abhängen, wie unsere Kommunen es schaffen, Betreuungsangebote für deren Kinder bereitzustellen. Wenn das gewährleistet ist, fällt einer der Hauptgründe zur Ablehnung eines Arbeitsangebotes durch das Arbeitsamt weg.

Senkung der Einkommensteuer verringert Lohnabstand nicht

DHB: Die Bundesregierung hat jüngst die Einkommenssteuern gesenkt. Jeder, der arbeiten geht, soll in diesem Jahr mehr Geld zur Verfügung haben. Was halten Sie von diesem Versprechen?

Frank Mahlkow: Das ist ein sehr sinnvoller Ansatz. Wir haben bei eigenen Berechnungen festgestellt, dass ein Mehr an Arbeit in mancher Konstellation, also wenn man Steuern, Wohngeld Plus und Kinderzuschlag einbezieht dazu führt, dass das Nettogehalt einer 30-Stunden-Stelle kaum geringer ist, als das einer 40-Stunden-Stelle. Am Einkommenssteuersystem muss sich definitiv etwas ändern.

Frank Ecker: Dem stimme ich zu, habe aber meine Zweifel, dass eine Verringerung der Einkommenssteuer wirklich Einfluss auf den Lohnabstand zum Bürgergeld haben wird. Denn gleichzeitig macht der Staat vieles teurer: die Erhöhung der Beiträge für die Krankenversicherung, der Ausgaben für Energie, die erhöhte CO2-Steuer, die Mehrwertsteuer für Gas, die Benzin- und Dieselpreise. Handwerksbetriebe werden über Mauterhöhungen zur Kasse gebeten. Hohe Zinssätze machen Investitionen schwierig. Zu allem kommen die Preisanstiege etwa für Firmenfahrzeuge, Maschinen und Material.

DHB: Wie viel bleibt denn dann Beschäftigten im Handwerk?

Frank Ecker: Wenn überhaupt etwas bleibt, dann ist es laut Institut der Deutschen Wirtschaft sehr wenig. Nur Ehepaare mit einem Jahreseinkommen ab 130 000 Euro und zwei Kindern haben ein gutes Plus von 262 Euro. Für ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Einkommen von nur 42 000 Euro hat das Institut bereits ein Minus von 33 Euro ausgerechnet, bei alleinerziehenden Beschäftigten mit einem Kind ist es schon ein Minus von 144 Euro. Im ostbrandenburgischen Handwerk liegen die durchschnittlichen Bruttolöhne in etwa bei 40 000 Euro. Die allgemeine Unzufriedenheit resultiert also mitnichten aus einer gefühlten, sondern realen Schlechterstellung. Das ist auch der Grund, warum wir auf jedem Treffen mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten, Staatssekretären oder Ministern fordern, endlich eine für jeden spürbare Entlastung des Mittelstandes herbeizuführen.

 

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