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Blog Im Zeichen des Bison

© Mirko Schwanitz I Hwk-ff.de

Guido Gerhardt führt seine Fürstenwalder Fleischerei in der dritten Generation. Mit Sohn Gordon ist nun die Übernahme in vierter Generation gesichert. Es war ein langer Weg.

Text_ Mirko Schwanitz

Es herrscht Hochbetrieb in der Fleischerei Gerhardt. Jungmeister Gordon Gerhardt kontrolliert das Beladen eines Transporters für den Party-Service. Alt-Meister Guido Gerhardt füllt Leberwurst in Naturdärme. Es duftet nach Fleisch und Majoran, nach Zwiebel und Kümmel. Irgendwo zischt eine Messerklinge über einen Wetzstahl, Geschirr klappert. Im Gastrobereich sitzen erste Handwerker beim Frühstück. Aus dem Verkaufsraum dringt das Lachen der Verkäuferinnen, die mit den Kunden flachsen. Wie lange wird man so eine Stimmung noch erleben?

Familienbetrieb seit 1932

„Bei uns hoffentlich noch lange. Aber insgesamt? Ich weiß es nicht“, sagt Guido Gerhardt, dem das Sterben der Metzgereien in Ostbrandenburg Sorgen bereitet. In den letzten fünf Jahren schlossen 26 Ostbrandenburger Metzgereien ihre Türen für immer. Guido Gerhardt ist mit ganzer Seele Fleischermeister: eloquent, erdverbunden, experimentierfreudig. „Seit 1932 gibt es unseren Familienbetrieb, seit 1936 befindet er sich am gleichen Standort.“ In der Geschichte der Fleischerei Gerhardt spiegelt sich auch die deutsche Geschichte. „Großvater kam aus dem Krieg als traumatisierter Mann zurück. Er starb, als mein Vater 13 war. Oma hielt den Laden am Laufen. Deutschland wurde geteilt. Die Fleischerei wurde HO-Filiale. Großmutter blieb Verkaufsstellenleiterin.“ 1974 übernahm Guidos Vater. Er brachte Guido alles bei. „Mit drei Jahren lernte ich Speck schneiden, mit fünf wie ein Darm befüllt wird. Ich liebte es.“

Innovative Produkte aus Bisonfleisch

Und doch wäre es fast nicht weitergegangen. Guido flieht 1989 über Ungarn aus der DDR, geht nach Westberlin, arbeitet dort in einer großen Fleischerei, kehrt aber bald nach der Wende zurück. „Ich wollte aber immer mein eigener Herr sein, mein eigenes Geld verdienen.“ Er kauft die vom Vater mit sechs Gesellschaftern gegründete „Heiße Kiste“, eine GmbH mit sechs Imbissständen, beliefert von der eigenen Fleischerei. Es läuft gut, bis Mc Donalds in die Stadt kommt. 2006 folgt der nächste mutige Schritt. Guido übernimmt die Fleischerei der Eltern. Gegen den Rat des Vaters, der zu diesem Zeitpunkt die Fleischerei nur noch mit seiner Frau betreibt. „Ich glaube, er hatte vor der Konkurrenz der Supermärkte mit ihrem billigen Fleischangebot aus Massentierhaltung resigniert.“ Guido Gehrhardt aber will es allen zeigen. Er knüpft Beziehungen zu regionalen Züchtern, bietet bald als einziger Bisonfleisch an und entwickelt auf dieser Grundlage innovative Produkte. Darunter auch der beliebte Bison-Burger, bis heute ein Alleinstellungsmerkmal der Fleischerei Gerhardt.

80 Prozent aus eigener Produktion

„Das regionale Handwerk hat Verantwortung“, sagt er. „Für regionale Lieferketten, kurze Transportwege, für das Tierwohl. Fleisch von Tieren, die vor dem Schlachten keinerlei Stress haben, schmeckt anders, ist zarter und saftiger. Weshalb ich besonders gern Fleisch von Tieren verarbeite, die mit dem Weideschuss erlegt werden. Heute sind 80 Prozent unserer Waren aus eigener Produktion. Nur mit Qualität kann ich den Angriff der Supermärkte kontern.“  Der Erfolg gibt ihm Recht. Die Mitarbeiterzahl wächst auf heute 15, die Fahrzeugflotte auch, der Umsatz nähert sich der Millionengrenze. Es wird reinvestiert. In einen EU-zertifizierten Schlachtraum, die „Heiße Kiste“ macht eine Metamorphose durch. Guido verwandelt sie in eine kleine Gastronomie, die zum Pausentreff für Handwerker geworden ist. Hier wird gefachsimpelt und sich vernetzt. Dazu kommt ein Party- und Mittagslieferservice. Über letzteren freuen sich nicht nur Tagespflegeeinrichtungen, sondern auch viele ältere Fürstenwalder. „Wir haben alles aus eigener Kraft geschafft und bis heute nicht eine einzige Förderung in Anspruch genommen“, sagt Guido stolz.

Fleischermesser statt Malerrolle

Doch die Umtriebigkeit forderte auch ihren Tribut. Bei einer 70-Stunden-Woche blieb wenig Zeit für Sohn Gordon. Lange Zeit sieht es so aus, als würde mit Guido Gerhardt die Geschichte des Familienbetriebes zu Ende gehen.  „Ich bin meinen Eltern entglitten, habe ihnen jede Menge Kummer bereitet“, sagt Gordon auf seine frühe Jugend zurückblickend. „Ich machte ein Praktikum als Zweiradmechaniker bei BMW, fing eine Ausbildung bei Mercedes an, schmiss hin, rettete mich in ein berufsvorbereitendes Jahr und baute jede Menge Mist.“ Erst während einer Jugendstrafe bekommt er die Kurve, macht eine Ausbildung als Maler- und Lackierer. „Plötzlich war ich stolz, aus einer ehrbaren Handwerkerfamilie zu kommen. Und dann begann ich, mich wie eine Lokomotive selbst aus dem Sumpf zu ziehen, in den ich geraten war.“ Ich absolvierte die Technikerschule, machte den Meister im Maler- und Lackierhandwerk, schaffte es bis zum Teamleiter und Ausbilder in Berlins größter Malerfirma. Als ich dort ins mittlere Management aufrücken sollte, sagte einer zu mir: Tickst du noch richtig? Dein Vater hat eine Firma in dritter Generation und du rennst hier als Angestellter rum?! Das brachte mich zum Nachdenken. 2019 hängte ich die Malerrolle an den Nagel, nahm das Fleischermesser in die Hand und fing bei meinem Vater wieder ganz unten an. In diesem Jahr habe ich den Meister im Fleischerhandwerk gemacht.“ Man sieht Guido Gerhardt an, dass er stolz ist auf seinen Sohn. Aber auch, dass ihm mit dessen Entwicklung ein Fels vom Gewicht der Rauener Steine von den Schultern genommen wurde.

Fachkräftemangel bremst das Wachstum

„Gordon kam mit der Unbekümmertheit der Jugend und neuen Ideen“, sagt er. Heute können Kunden sich bei uns Wurst nach eigenem Rezept anfertigen lassen. Auf Facebook diskutierte Gordon schon mal mit der Kundschaft über die Bedeutung der regionalen Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung. „Sie sollen wissen, woher wir unser Fleisch beziehen. Dass uns Fleisch aus Massentierhaltung und Schlachtbetrieben, die ausländische Arbeitskräfte über Subunternehmer ausbeuten, nicht über die Theke kommt. Wer will kann sich sogar das Tier anschauen, das er später essen wird. Wir beziehen unser Fleisch von Bauern in einem 20-Kilometer-Umkreis. Wir schlachten auch direkt im Stall. Die Tiere sollen nicht den Stress eines Schlachthofes erleben.“ Den beiden ist es wichtig, immer wieder Prozesse zu ändern, zu hinterfragen, auch transparent zu machen, warum auch im Fleischerhandwerk Preisanpassungen notwendig sind. „Wir haben die Nachfrage, wir könnten wachsen, können es aber zurzeit aufgrund des Fachkräftemangels nicht.“ Dennoch tun die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Kunden, was möglich ist. Im Moment ist die Fleischerei die einzige in der Stadt, die am Wochenende noch einen Partyservice anbietet und in der Woche jeden Tag bis 18 Uhr geöffnet hat. Auch wenn das bedeutet, dass die Meister selbst hinter der Ladentheke aushelfen müssen.

Fleischerei Gerhardt

Erich-Weinert-Str. 14

15517 Fürstenwalde

Tel: 03361 50 534

info@fleischerei-gerhardt.de

www.fleischerei-gerhardt.de