EU-Lieferkettengesetz

Fragen und Diskussionen zum EU-Lieferkettengesetz

Bürokratie Lieferkette Nachweise

In der Deutschen Handwerkszeitung (DHZ) ist folgendes Interview von Chefredakteur Steffen Range mit Rechtsanwalt Philipp Kärcher, Partner und Leiter des Frankfurter Büros der internationalen Anwaltskanzlei Watson Farley & Williams, zu lesen. 9.4.2024

Umstrittene EU-Richtlinie

Lieferkettengesetz birgt “erhebliche juristische Sprengkraft”

Zum Verdruss der Wirtschaft hat sich die EU doch noch auf eine Lieferkettenrichtlinie verständigt. Rechtsanwalt Philipp Kärcher erwartet nun Sammelklagen wie beim VW-Dieselskandal. Doch er hat auch ein Trostpflaster für den Mittelstand.

Von Steffen Range

Herr Kärcher, wie bewerten Sie die Diskussion um das Lieferkettengesetz?

In der Wirtschaft war eine gewisse Erleichterung zu spüren, als sich abzuzeichnen schien, dass diese Richtlinie in Brüssel scheitern würde. Nun wird sie in leicht abgeänderter Form wohl doch kommen; jedenfalls bestehen an der noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments im Mai kaum Zweifel. Die wirklich spannende Frage wird sein, wie der deutsche Gesetzgeber die EU-Vorgaben in nationales Recht umsetzt und ob er möglicherweise noch darüber hinausgeht. Jedenfalls fokussiert sich die Diskussion hierzulande momentan darauf, wie sich die sehr ambitionierte Überwachungspflicht der ge­samten Lieferketten realisieren lässt.

Und das ist Ihrer Meinung nach der falsche Fokus?

Er ist nicht falsch, aber er verengt den Blickwinkel. Versteckt zwischen den vielen guten Absichten findet sich in der Richtlinie nämlich ein Passus, der erheb­liche juristische Sprengkraft birgt: Einzelne Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umwelt­schäden werden künftig vor deutschen Zivilgerichten auf Schadensersatz klagen können.

Was macht den Passus so brisant?

Zunächst einmal können nach der neuen Richtlinie geschädigte Personen individuell auf Schadensersatz klagen, und ergänzend dürfen NGO [Nichtregierungsorganisationen, d. Red.], Gewerkschaften und ähnliche Organisationen Sammelklagen einreichen. Ein Geschädigter kann seine Ansprüche aber auch an eine andere Organisation abtreten, wie zum Beispiel ein Unternehmen, das – sagen wir einmal – einem Family-Office gehört und sich darauf spezialisiert hat, Prozesse zu finanzieren. Im Gegenzug könnte sich dieses Unternehmen einen Teil am monetären Prozesserfolg zusagen lassen.

Wie beurteilen Sie diese Praxis?

Das ist ein durchaus profitables und völlig legales Geschäftsmodell. Unter anderem der VW-Dieselskandal hat ja demonstriert, wie profitabel groß angelegte Prozessstreitigkeiten mit einer großen Anzahl an Klägern sein können. Deshalb ist es, sobald die Richtlinie einmal in deutsches Recht überführt ist, vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis eine entsprechende Klagewelle gegen Unternehmen losbricht.

Was bedeutet das für kleinere Unternehmen, sind auch Handwerksbetriebe betroffen?

Dass klassische Handwerksbetriebe unter das EU-Lieferkettengesetz fallen, ist relativ unwahrscheinlich, da ab 2027 zunächst nur Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Konzernumsatz von über 1,5 Milliarden Euro betroffen sind. Ab 2028 sinken diese Schwellen auf 3.000 Mitarbeiter und 900 Millionen Euro und dann ab 2029 nochmals auf 1.000 Mitarbeiter und 450 Millionen Euro.

Besteht nicht auch für kleinere Betriebe das Risiko, dass Auftraggeber ihre Geschäftsbedingungen auf ihre Zulieferer überwälzen, unabhängig davon, ob diese regional, national, in der EU oder weltweit tätig sind? Hängen Sie dann womöglich ebenfalls mit drin in Haftungsfragen?

Jedes Unternehmen, das unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, muss natürlich sicherstellen, dass seine Zulieferer ebenfalls den Vorgaben genügen. Den Zulieferern selbst drohen zwar keine Strafen oder Bußgelder, wenn sie nicht Liefergesetz-compliant sind; es entsteht aber ein faktischer wirtschaftlicher Zwang, da sonst kein größeres Unternehmen bei ihnen kauft.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Lieferkettengesetz?

Nach ihrer Verabschiedung muss die EU-Richtlinie von den Mitgliedsstaaten binnen zwei Jahren in nationales Recht überführt werden. Deutschland muss dann das bestehende, nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz entsprechend überarbeiten, wobei die EU-Regelun­gen als Mindestvorgabe gelten. Wir haben hierzulande insofern einen Sonderfall, als die übrigen EU-Staaten bisher keine entsprechende nationale Gesetzgebung erlassen hatten.

Wenn Sie sagen, dass Sie eine große Anzahl an Rechtsstreitigkeiten erwarten, wie war es denn bisher?

Aktuell sorgt hierzulande das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) für die Einhal­tung des deutschen Lieferkettengesetzes. Diese Behörde kann durchaus erhebliche Bußgelder verhängen und Unternehmen beispielsweise für drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausschließen. Allerdings hat man bisher von diesen Befugnissen sehr zurückhaltenden Gebrauch gemacht und mit viel Augenmaß agiert, sodass wesentliche Bußgelder bisher nicht bekannt sind.

Und das wird jetzt anders?

Ich denke schon, dass der Wind rauer wird. Die EU-Richtlinie formuliert ein sehr umfangreiches Verständnis der Haftbarkeit von Unternehmen. Danach können betroffene Einzelpersonen Unternehmen zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagen, wenn diese schädliche Auswirkungen auf die Umwelt oder auf Menschenrechte verursacht haben, die sie bei Einhaltung der Sorgfaltspflichten hätten erkennen, mildern, beenden oder in ihrem Ausmaß verringern müssen. Während der finalen Beratungen der Richtlinie wurde zwar noch der Hinweis aufgenommen, dass ein Unternehmen nicht haftbar sein soll, wenn ausschließlich ein anderes Unternehmen in der vorgelagerten Lieferkette einen Schaden verursacht hat. Es bleibt allerdings unklar, wie man innerhalb der komplexen globalen Wertschöpfungsketten eine solche Alleinverantwortung eines Geschäftspartners feststellen will. Daraus ergeben sich gewisse Verteidigungsmöglichkeiten, aber auch sehr erhebliche Prozessrisiken.

Was raten Sie Unternehmen, vor allem kleinen und mittleren Firmen, die nicht über eigene Rechtsabteilungen verfügen?

Unternehmen, die von der Richtlinie betroffen sind, stehen meiner Ansicht nach vor zwei zentralen Herausforderungen: Sie müssen im ersten Schritt ihre Prozesse anpassen und anschließend definieren, wie sie die Einhaltung der Vorgaben im Geschäftsalltag dokumentieren und nachweisen. Betroffene Firmen sollten sich umfassend beraten lassen, um eine ausreichende Compliance herzustellen und offene Flanken zu vermeiden, die einen beispielsweise zum Ziel einer der oben angesprochenen Sammelklagen machen könnten. Noch ist dafür ausreichend Zeit.

Würden Sie sagen, dass das Lieferkettengesetz viel Bürokratie nach sich ziehen wird und mittelstandsfeindlich ist?

Das bestehende deutsche Lieferkettengesetz hat in dieser Hinsicht bereits viel Kritik auf sich gezogen, und die Umsetzung der EU-Richtlinie wird den bürokratischen Aufwand sicher nicht verringern. Als Trostpflaster bleibt vielleicht, dass hiesige Unternehmen bereits ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass das Thema “Nachhaltigkeit” keine inhaltsleere Floskel in einem Jahresbericht mehr sein darf. Dieses Verständnis, das Wettbewerber in anderen Ländern vielleicht erst entwickeln müssen, kann deutschen Unternehmen im europäischen Wettbewerb möglicherweise einen Vorteil verschaffen.

Hier der DHZ-Link

Lieferkettengesetz birgt “erhebliche juristische Sprengkraft” – dhz.net (deutsche-handwerks-zeitung.de)

———– Informationen vom 15.3.2024 und früher ———

Rat und EP-Rechtsausschuss verabschieden EU-Lieferkettengesetz

Auf den letzten Metern konnten einige Verbesserungen erreicht werden, etwa höhere Schwellenwerte (1.000 Mitarbeiter und ein Jahresumsatz von 450 Mio. €). Zudem gibt es keine Hochrisikosektoren mehr, unter die auch der Bau gefallen wäre.

Grundsätzlich bleibt es bei der zivilrechtlichen Haftung. Zulieferer haften für eigens verursachte Schäden. Der risikobasierte Ansatz stellt sicher, dass Risiken priorisiert werden können.

Am 19. März stimmte auch der federführende Rechtsausschuss des EU-Parlaments (JURI) mit 20 zu 4 Stimmen für den finalen Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz. Die abschließende Plenumsabstimmung ist für den 24. April vorgesehen. Der Rat muss den Kompromiss ebenfalls noch formal bestätigen. Alle Formalien sollen bis zur Europawahl im Juni abgeschlossen werden.

Positiv ist, dass aufgrund der deutlich höheren Schwellenwerte und des Wegfalls der Hochrisikosektoren insgesamt weniger Unternehmen berichtspflichtig sein werden. Zu befürchten bleibt dennoch, dass größere Auftraggeber ihre Geschäftsbedingungen unverändert auf ihre Zulieferer durchdrücken werden. Insofern kommt es darauf an, das Gesetz national so umzusetzen und die Leitlinien so zu gestalten, dass diese Risiken möglichst minimiert werden.

Lieferkettengesetz nun doch noch im Kompromiss übereilt beschlossen

Am 15. März haben die EU-Botschafter im Ausschuss der Ständigen Vertreter für den finalen Kompromissvorschlag zum EU-Lieferkettengesetz gestimmt. Damit wurde die Grundlage geschaffen, um das Dossier noch bis zur Europawahl im Juni abzuschließen. Dazu erklärt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH):

„Es ist eine schlechte Nachricht unverändert, dass die Botschafter einem übereilten und unausgereiften Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz entgegen allen guten Argumenten nun doch zugestimmt haben. Die offensichtliche Absicht, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode notfalls mit der Brechstange verabschieden zu wollen, und das unprofessionelle Ringen in den vergangenen Wochen um ein Ergebnis beim EU-Lieferkettengesetz ist unangemessen. Den Auswirkungen, die dieses Gesetz dann vor allem auf kleinere und mittlere Handwerksbetriebe hat, wird das nicht gerecht.”

Auswirkungen auf kleine und mittlere Handwerksbetriebe nicht absehbar

Holger Schwannecke führt weiter aus: “Allenfalls ein kleiner Lichtblick ist, dass sich die Verhandlungsführer unter massivem Druck auf insgesamt deutlich höhere Schwellenwerte geeinigt haben und die Baubranche als „Hochrisikosektor” gestrichen wurde. Dennoch: Es ist definitiv kein Anlass für Entwarnung.

Das nun beschlossene Ergebnis birgt weiter viele Unsicherheiten und unkalkulierbare Risiken für die Handwerksbetriebe, die sich als Zulieferer oder Dienstleister in den Wertschöpfungsketten größerer Unternehmen befinden. Obgleich der risikobasierte Ansatz im Text verankert werden konnte, bleibt es eine Frage der Auslegung, ob in Deutschland tätige Betriebe geprüft werden müssen oder nicht.”

Die negativen Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz verdeutlichen die Probleme, denen sich Handwerksbetriebe am Ende einer Lieferkette in Zukunft noch häufiger gegenübersehen dürften: Die Auftraggeber drücken ihre Geschäftsbedingungen unverändert auf ihre Zulieferer durch, unabhängig davon, ob diese regional, national, in der EU oder weltweit tätig sind.

Jetzt kommt es bei der nationalen Umsetzung und Erarbeitung der Leitlinien entscheidend darauf an, diese Risiken größtmöglich zu minimieren. Das EU-Lieferkettengesetz darf so wenig wie möglich in den betrieblichen Alltag von Handwerkerinnen und Handwerkern eingreifen und für die Betriebe keine zusätzlichen Belastungen bringen. Das haben Politikerinnen und Politiker in Brüssel und Berlin wiederholt zugesichert und wir nehmen sie hier beim Wort. Die Politik steht jetzt in der Verantwortung, dem Rechnung zu tragen.“

Hoffnung auf deutschen Gesetzgeber

Auch der Verband der Familienunternehmer zeigte sich enttäuscht. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Interessenvertretung, sagte: “Das ist ein rabenschwarzer Tag für den Mittelstand. Es wurde die letzte Chance vertan, aus einem wichtigen Anliegen kein gewaltiges Bürokratiemonster, sondern doch noch ein praktikables Regelwerk zu machen.”

Ebenfalls ernüchtert äußert sich das Elektrohandwerk. Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, sprach von einem “herben Rückschlag für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas”. Damit werde der Überregulierung und der Überbürokratisierung in der EU Vorschub geleistet. “Die großen Bedenken insbesondere des Mittelstands wurden damit unerwartet völlig zur Seite geschoben.” Statt, wie von wirtschaftlicher Seite vorgeschlagen, einen neuen, praxisorientierten und pragmatisch angelegten Anlauf zu starten, würden die Unternehmen in Europa nun mit Pflichten konfrontiert, die sie nicht einhalten könnten. Weber sagte: “So schwächt sich Europa abermals selbst.”

https://www.zdh.de/ueber-uns/fachbereich-europapolitik/eu-aktuell/eu-lieferkettengesetz-uebereilt-unausgereift-nicht-hilfreich/

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